Der für das Versicherungsrecht zuständige IV. Zivilsenat hat entschieden, dass ein Verstoß gegen § 142 Abs. 2 StGB (nicht unverzügliche Ermöglichung nachträglicher Feststellungen nach zunächst erlaubtem Entfernen vom Unfallort) nicht in jedem Falle zugleich eine vorsätzliche Verletzung der Aufklärungsobliegenheit gegenüber dem Fahrzeugversicherer beinhaltet, die zu dessen Leistungsfreiheit führt.
In dem entschiedenen Fall erlitt der Kläger mit seinem bei der Beklagten kaskoversicherten Fahrzeug gegen 1 Uhr morgens einen Unfall, als er – nach seiner Behauptung bei einem Ausweichmanöver wegen auf der Straße stehender Rehe – auf einer Landstraße in einer Rechtskurve nach links von der Fahrbahn abkam und mit dem Fahrzeugheck gegen einen Baum prallte, der ebenso wie sein Fahrzeug beschädigt wurde. Nach dem Unfall verständigte er den ADAC, der das Fahrzeug abschleppte, und ließ sich von einem herbeigerufenen Bekannten an der Unfallstelle abholen. Die Polizei und den Geschädigten (das zuständige Straßenbauamt) verständigte er nicht. Ein gegen ihn eingeleitetes Verfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort wurde später eingestellt.
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Regulierung des Schadens an seinem Fahrzeug. Er behauptet, ihr den Schaden unverzüglich angezeigt zu haben. Die Beklagte lehnte die Regulierung wegen der Verletzung von Aufklärungsobliegenheiten (hier E.1.3. AKB 2008) durch unerlaubtes Entfernen vom Unfallort ab. Mit seiner Klage verlangt der Kläger den Ersatz des auf rund 27.000 € bezifferten Schadens.
Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hat die Auffassung vertreten, dass die Aufklärungsobliegenheit stets verletzt sei, wenn der Straftatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort verwirklicht werde. Das gelte auch in den Fällen des § 142 Abs. 2 StGB, gegen den der Kläger verstoßen habe.
Der Bundesgerichtshof hat einen solchen Automatismus verneint. Er hat entschieden, dass dem Aufklärungsinteresse des Versicherers trotz eines Verstoßes gegen § 142 Abs. 2 StGB dann in ausreichender Weise genügt ist, wenn der Versicherungsnehmer zu dem Zeitpunkt, in dem eine nachträgliche Information des Geschädigten noch „unverzüglich“ im Sinne von § 142 Abs. 2 StGB gewesen wäre und eine Strafbarkeit nach dieser Vorschrift vermieden hätte, zwar nicht den Geschädigten, aber unmittelbar seinen Versicherer oder dessen Agenten informiert hat. Dies hatte der Kläger behauptet. Der Bundesgerichtshof hat deshalb das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur Aufklärung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Urteil vom 21. November 2012 – IV ZR 97/11
Oberlandesgericht Dresden – Urteil vom 6. April 2011 – 7 U 1310/10
Landgericht Bautzen – Urteil vom 19. Juli 2010 – 3 O 466/09
Karlsruhe, den 21. November 2012
§ 142 StGB (Auszug)
Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort
(1) Ein Unfallbeteiligter, der sich nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, bevor er
1. zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, daß er an dem Unfall beteiligt ist, ermöglicht hat oder
2. eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet hat, ohne daß jemand bereit war, die Feststellungen zu treffen,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Nach Absatz 1 wird auch ein Unfallbeteiligter bestraft, der sich
1. nach Ablauf der Wartefrist (Absatz 1 Nr. 2) oder
2. berechtigt oder entschuldigt
vom Unfallort entfernt hat und die Feststellungen nicht unverzüglich nachträglich ermöglicht.
(3) Der Verpflichtung, die Feststellungen nachträglich zu ermöglichen, genügt der Unfallbeteiligte, wenn er den Berechtigten (Absatz 1 Nr. 1) oder einer nahe gelegenen Polizeidienststelle mitteilt, daß er an dem Unfall beteiligt gewesen ist, und wenn er seine Anschrift, seinen Aufenthalt sowie das Kennzeichen und den Standort seines Fahrzeugs angibt und dieses zu unverzüglichen Feststellungen für eine ihm zumutbare Zeit zur Verfügung hält. Dies gilt nicht, wenn er durch sein Verhalten die Feststellungen absichtlich vereitelt.
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E.1.3 AKB 2008
Sie sind verpflichtet, alles zu tun, was der Aufklärung des Schadenereignisses dienen kann. Dies bedeutet insbesondere, dass Sie unsere Fragen zu den Umständen des Schadenereignisses wahrheitsgemäß und vollständig beantworten müssen und den Unfallort nicht verlassen dürfen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen.
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E.6.1 AKB 2008
Verletzen Sie vorsätzlich eine Ihrer in E.1 bis E.5 geregelten Pflichten, haben Sie keinen Versicherungsschutz. …
Pressestelle des Bundesgerichtshofs Nr. 195/2012 vom 21.11.2012